Aufnahmedatum: 30. März 1931
Dauer: 6:27
Beschreibung: Diskussion mit Eberhard Preussner und Heinrich Strobel im Berliner Rundfunk.
Signatur: 60/R7 (1:00); 101/R7-104/R7 (6:27) (2x)
Literatur:
Arnold Schönberg: Diskussion im Berliner Rundfunk mit Dr. Preussner und Dr. Strobel, in: ders.: Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, herausgegeben von Ivan Vojtech. Frankfurt am Main 1976, p. 272-282 (Arnold Schönberg. Gesammelte Schriften. 1.)
Schönberg in einer Rundfunkdiskussion. in: Musiktheater Hinweise: Informationen der Frankfurter Oper (Januar-Februar 1978), p. 11.
Wolfgang Gratzer: »Drei Kritiker sprechen zuerst je drei Minuten...« Schönbergs Berliner Bemühungen um eine neue Rezeption seiner Musik, in: Arnold Schönberg in Berlin. Bericht zum Symposium – Report of the Symposium, 28.-30. September 2000. Herausgegeben von Christian Meyer. Wien: Arnold Schönberg Center 2001, p. 294-307 (Journal of the Arnold Schönberg Center. 3/2001.)

Transkription:

[ARNOLD SCHÖNBERG:] ...daß ich nichts geschrieben habe, dessen ich mich schämen müsste, bildet die Grundlage meiner moralischen Existenz. Was ich als Junger geschaffen habe, ist Vorstufe, und Mängel kann man hauptsächlich dadurch erkennen, weil ich
es seit her besser zu sagen verstehe. Herr Dr. Strobel: Sie nennen das Tristan-Stil oder Spätromantik; warum nicht Parsifal-Stil oder Meistersinger-Stil? Ich komme ebenso von diesem her wie auch von Brahms. Sie hören in meiner Musik noch immer Tristan-Klänge! Aber selbst wenn das richtig wäre: Ein chinesischer Dichter ist doch nicht nur etwas, das chinesisch klingt, sondern: er sagt doch auch etwas! Was aber sage ich? Und abgesehen von diesem Klang: wie sage ich es? Für unsere heutige Erkenntnis besteht doch der Unterschied zwischen Wagner und Brahms nicht mehr in dem, was die seinerzeitigen Wagnerianer und Brahmsianer einander vorgeworfen haben, sondern darin, was zu sagen ihre spezielle Aufgabe war und wie sie die gelöst haben. Der Stil aber, wenn man ihn bloss so auffasst – so à la Tristan-Klang – ist ein Stilkleid, das dem Träger vermorscht vom Leib fällt, wenn die Mode vorbei ist. Etwas anderes aber sind jene Eigentümlichkeiten, die sich aus dem darzustellenden Gedanken ergeben. Wie die Aufgabe verschieden ist, so auch der Inhalt, so ist auch die Form anders. So angesehen aber betrete ich bereits mit meinen frühesten Werken Neuland.

[HEINRICH STROBEL:] Wieso, Herr Schönberg? Das verstehe ich nicht ganz! Vielleicht wollen Sie es uns an einem Beispiel zeigen?

[ARNOLD SCHÖNBERG:] Gut, dann beachten Sie bitte, wenn wir jetzt ein Hauptthema aus meiner Verklärten Nacht spielen, also das Gewisse Tristan-Stil-Werk wenn es nicht noch schlechter ist, wie ich, unbewusst allerdings, [denn] damals habe ich [the recording skips, playing the last three words six more times] damals...

[EBERHARD PREUSSNER:] ...Pierrot--habe ich keinen Augenblick den Eindruck, es könne sich hier um irgendwelche besonders problematische und unverständliche Werke handeln. Ich nahm diese Musik gehörs- und erlebnismässig nicht anders auf als jede andere Musik: als ein Ganzheitserlebnis, bei dem ich mir allerdings über die einzelnen Teile bewußt keine Rechenschaft ablegte. Erst als ich erfuhr, bei Schönberg handele es sich um besonders konstruierte Musik, und als ich nun versuchte, die einzelnen formalen Teile bewußt zu erkennen, da stieß ich auf gewisse Schwierigkeiten. Was ich vorher unbewußt als selbstverständlich hörte, wurde bei dem Versuch zur Bewußtmachung kompliziert, und schwer erfassbar. Diese Schwierigkeiten wurden erst behoben, als ich begann, einige Klavierwerke selbst zu spielen. Durch das Selbstspielen gelang es, mir, mir völlig bewußt über den formalen Aufbau zu werden und dennoch nicht das Ganzheitserlebnis zu verlieren. Ja, jetzt machte es mir besondere Freude, das Wachstum der einzelnen Zelle zu beobachten und dann den ganzen organischen Aufbau zu überschauen. Aber vielleicht sehen Sie, Herr Strobel, gerade in dieser Art des Hörens eine schematische Zweiteilung und eine Komplizierung. Wie wirkte Schönbergs Musik auf Sie, Herr Strobel?

[HEINRICH STROBEL:] Es ist mir mit Schönbergs Musik von jeher so gegangen wie es mir heute geht. Auch meine heutige theoretische Kenntnis hilft mir nicht Schönbergs Musik vom Klang her eben zu begreifen. Ich bin zur neuen Musik positiv gestanden, seit dem ich mit ihr in Berührung kam. Selbst der chaotische Strawinsky des Sacre du Printemps erschien mir selbstverständlich und natürlich. Der rhythmischen Vitalität Strawinsky's konnte ich eben nicht widerstehen, ebenso wie der weit weitatmigenmelodischen Polyphonie und der inneren Triebkraft von Hindemith. Mochte ich auch da zuerst nicht alles mit dem Kopf gleich verstehen. Ich empfang es aber richtig organisch und das genaue Studium der Partituren brachte mir jedesmal nur die Bestätigung für das, was ich gehört hatte. Schönbergs Pierrot war meine meine erste Berührung mit moderner Musik bei einer Aufführung vor den Krieg schon in Regensburg. Den Pierrot habe ich kürzlich wieder in Berlin gehört.... die letzte Übersteigerung des romantischen Subjektivismus womit ich Romantik als Stilbegriff und nicht als Werturteil meine, wie es Herr Schönberg vielleicht auffaßt. Nur Auserwählte verstehen diese Musik, und wenn sie einmal, Herr Schönberg, wie etwa in der Lichtspielmusik näher an die Sphäre des Gebrauchs herankommen, dann zeigt sich der Widerspruch, denke ich, zwischen Werkgesinnung und Wirkungsmöglichkeit um so deutlicher. Es würde mich interessieren, wie Sie sich selbst die praktische Verwendung dieser Lichtspielmusik denken, denn ohne Zweifel haben Sie doch eine praktische Verwendung gedacht, als Sie das Werk geschrieben haben?

[ARNOLD SCHÖNBERG:] Ja, soll ich nun gar nach einer Zeiterscheiung mich richten, wie es der amerikanische Kinobetrieb ist, der es zustande gebracht hat, eine gute Sache durch Raubbau in zwei Jahrzehnten umzubringen? Wenn ich an Lichtspiele denke, so denke ich an zukünftige, die notwendigerweise künstlerisch sein werden müssen. Und zu denen wird meine Musik passen! Herr Strobel, unterschätzen Sie nicht die Größe des Kreises, der sich um mich bildet. Er wird wachsen durch die Wissbegierde einer idealistischen Jugend, die sich mehr durch das Geheimnisvolle angezogen fühlt, als durch das Alltägliche. Aber wie immer das auch kommen mag, so kann ich doch nichts anderes weder denken noch sagen, als das, was mir meine Aufgabe vorschreibt. Nehmen Sie das, meine Herren, nicht für Hochmut: ich hätte gerne bessern Erfolg, es ist keineswegs mein Wunsch, als einsamer Säulenheiliger da zu stehn. Jedoch: solange ich mein Denken und Phantasieren für richtig halten darf, werde ich nichts anderes glauben können, als daß Gedanken gedacht werden müssen und gesagt, auch wenn sie nicht verstanden werden, auch wenn sie nie verstanden werden könnten. Ich selbst bin ja gar nicht der Meinung, daß ich so ganz unverständlich bin. Aber überlegen wir: Hätten unbestritten große Gedanken wie zum Beispiel die eines Kant nicht gedacht, nicht gesagt werden sollen, weil, nur heute Aufrichtige zugeben müssen daß Sie ihnen nicht folgen können? Wem unser Herrgott die Bestimmung gegeben hat, Unpopuläres zu sagen dem hat er die Fähigkeit verliehen, sich damit abzufinden, dass es immer die andern sind, die verstanden werden.